Es ist so: Das Land, in dem ich geboren wurde, gibt es heute nicht mehr.
Also doch, Herkunft, wie immer, dachte ich und legte los: Komplexe Frage! Zuerst müsse geklärt werden, worauf das Woher ziele. Auf die geografische Lage des Hügels, auf dem der Kreißsaal sich befand? Auf die Landesgrenzen des Staates zum Zeitpunkt der letzten Wehe? Provenienz der Eltern? Gene, Ahnen, Dialekt? Wie man es dreht, Herkunft bleibt doch ein Konstrukt! Eine Art Kostüm, das man ewig tragen soll, nachdem es einem übergestülpt worden ist. Als solches ein Fluch!
Meine Familie lebt über die ganze Welt verstreut. Wir sind mit Jugoslawien auseinandergebrochen und haben uns nicht mehr zusammensetzen können. Was ich über Herkunft erzählen möchte, hat auch zu tun mit dieser Disparatheit, die über Jahre mitbestimmt hat, wo ich bin: so gut wie niemals dort, wo Familie ist.
[…]
Herkunft sind die süß-bitteren Zufälle, die uns hierhin, dorthin getragen haben. Sie ist Zugehörigkeit, zu der man nichts beigesteuert hat.
[…]
Herkunft ist Krieg.
Mutter und ich verbrachten Stunden in der Telefonzelle am Bahnhof. Wenn ein anderer telefonieren wollte, gingen wir raus, Mutter rauchte eine. Wir versuchten, meist vergeblich, irgendwen - Mann, Vater, Bruder, Großmutter - zu erreichen. Wochenlang kamen wir nicht durch, wochenlang wussten wir nicht, ob derjenige, den wir sprechen wollten, noch sprechen konnte.
Im Neonlicht auf dem Flur begegneten sie einander. Er konnte sich an die junge Frau erinnern, die Polenta aus der Küche bringt, und sie an den jungen Mann und sein Sakko über der Stuhllehne. Das reicht ja manchmal für den Anfang: die gemeinsame Erinnerung an einen Augenblick, der zunächst keine Bedeutung zu haben scheint.
啊哈哈哈哈